120 Jahre Bleyle – Eine schwäbische Unternehmensgeschichte
Vor 120 Jahren im Jahre 1889 gründete Wilhelm Bleyle in der Kasernenstraße in Stuttgart eine Garnhandlung mit angeschlossener Herstellung und Verkauf von Strickwaren. Mit lediglich acht Mitarbeitern und fünf Strickmaschinen wurde die Produktion aufgenommen. 25 Jahre später beschäftigte Bleyle 1400 Personen und war damit sechstgrößter privater Arbeitgeber in Stuttgart. 1929, als man den Firmenzenit erreicht hatte, standen bei Bleyle in den Werken Stuttgart, Ludwigsburg und Brackenheim fast 4000 Menschen in Lohn und Brot. Von da an begann der langsame Niedergang der Firma, der mit dem Konkurs 1988 endete. Den Namen Bleyle tragen heute noch zwei Textilunternehmen, die gewissermaßen kleinen Nachfolger des ehemals größten deutschen Textiloberbekleidungsunternehmens.
Wilhelm Bleyle wurde 1850 in Feldkirch in Österreich geboren, nach einer Lehre zum Einzelhandelskaufmann und Tätigkeiten im Einzelhandel gründete er 1889 in Stuttgart ein Unternehmen, in dem er als erster in Bahnen gestrickte Stoffe zuschneiden und zu Kleidungsstücken zusammennähen ließ. Mit dieser Methode konnte er bei hoher Qualität günstiger als die bisherigen Maßschneider arbeiten. Wilhelm Bleyle war, wie viele andere erfolgreiche Stuttgarter Unternehmer, zugewandert, vereinte aber die schwäbischen Tugenden Fleiß, Zuverlässigkeit, Erfindergeist oder Sparsamkeit in idealer Weise in sich. Alles Gründe, warum die Erfolgsgeschichte der Firma Bleyle auch eine typisch schwäbische Erfolgsgeschichte aus der Zeit der Jahrhundertwende ist.
Eine Zeit, zu der Kaiser Wilhelm II. aus Deutschland eine große Kolonialmacht formen wollte und darum die Marine aufrüstete. Kein Wunder also, dass die erstmals 1890 von Bleyle hergestellten Matrosenanzüge absolut im Trend lagen. Diesen Trend nutzte das Marketinggenie Wilhelm Bleyle geschickt aus, indem er seine Firma als den Hersteller von Matrosenanzügen für die deutsche Jugend positionierte. Seine umfassenden Werbemaßnahmen, man verschenkte Postkarten, Bilderbücher und Kataloge für den Endverbraucher, was damals noch nicht üblich war, trugen sicher zu dem großen Erfolg bei. Zwar war die grob gestrickte Bleylekleidung nie besonders angenehm zu tragen und auch nur sehr bedingt modisch, aber man bot allerhöchste Qualität und umfassenden Service, für die damalige Zeit unschlagbare Argumente. Mit dem Kauf eines Bekleidungsstückes von Bleyle erwarb man das Recht,, dieses jederzeit zur Reparatur einschicken zu können oder falls es mal zu kurz war, auch anstricken zu lassen. Allerdings ist es ein Gerücht, dass die Reparaturen immer kostenlos durchgeführt wurden. In alten Katalogen wird nur darauf hingewiesen, man könne die Reparaturkosten in der Fabrik schätzen lassen. Da ab 1914 die Qualität der Wolle abnahm, sah man sich zwei Jahre später gezwungen, die Marke Bleyle bis in die 20er Jahre ruhen zu lassen, da man den guten Namen nicht mit minderwertiger Wolle in Verbindung gebracht wissen wollte. Bleyle war damit im besten Sinne ein Markenartikler, zu einer Zeit, als es den Begriff noch gar nicht gab. Anscheinend hatte er auch schon recht früh mit Nachahmern zu kämpfen, die ähnliche aber minderwertigere Ware anboten. Wobei man heute kaum mehr feststellen kann, ob es sich wirklich um Nachahmer oder nur um um unliebsame Konkurrenz handelte.
Der Niedergang des Unternehmens begann mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Diese hatten andere Vorstellungen von der Bekleidung der deutschen Jugend und der Matrosenanzug verlor zusehends an Popularität. Sein endgültiges Aus kam im Jahre 1957. Die kommenden Jahrzehnte konzentrierte man sich auf Damenoberbekleidung und Unterwäsche, die man bis zur Firmenschließung 1988 im Programm hatte. Die Zeiten hatten sich geändert, die Qualität der Kleidung war nicht mehr so wichtig, die Menschen wollten bequeme und modische Artikel. Eine Entwicklung, die man bei Bleyle verschlafen hatte, was letztlich zum Konkurs führte.
Heute ist der Name Bleyle gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden und die letzten Kleidungsstücke sind aufgetragen. Nur das ehemalige Firmengebäude in der Rotebühlstraße ist noch stadtbildprägend. Allerdings ist nicht nur Bleyle verschwunden, sondern die ganze Textilindustrie, ein Industriezweig, der um die Wende vom 19. und 20. Jahrhundert die Stuttgarter Industrie mit prägte und weit mehr Arbeitsplätze bot als die Automobilindustrie.
Jörg Trüdinger
Wir bedanken uns für den tollen Bericht, Er zeigt einmal mehr welche Industrie einst in Stuttgart angesiedelt war.
Wir wollen dem Artikel von Jörg noch zwei Links hinzufügen: bleyle/Geschichte/Historische Werbung, wikipedia/wiki/Bleyle
Foto, Jörg (Das Foto stammt vom Titelbild eines Verkaufskataloges um das Jahr 1900)