Die baden-württembergische Landesregierung hat gemeinsam mit anderen Bundesländern im Bundesrat eine Initiative zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns eingebracht, die der Bundesrat mit der Mehrheit der SPD- und Grünen-geführten Länder beschlossen hat. Wir haben darüber mit Sozialministerin Katrin Altpeter gesprochen.
Die Landesregierung bringt gemeinsam mit anderen Ländern eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ein. Warum brauchen wir einen Mindestlohn?
Katrin Altpeter: Seit den neunziger Jahren ist der Niedriglohnsektor in Deutschland stark angewachsen, vor allem in Bereichen, in denen es keine oder nur schwache Tarifvertragsparteien gibt. Löhne von fünf Euro sind keine Seltenheit. Es gibt heute viele Menschen, die Vollzeit arbeiten und von ihrem Lohn trotzdem nicht leben können, geschweige denn eine Familie ernähren. Diese schreiende Ungerechtigkeit wollen wir nicht länger hinnehmen. Betroffene empfinden es zu Recht als würdelos, trotz eines Vollzeitjobs auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.
Mit einem Mindestlohn stellen wir sicher, dass Menschen wieder von ihrer Arbeit leben können. Gleichzeitig beugen wir mit einem Mindestlohn der Altersarmut von morgen vor. Und wir schaffen mit einem Mindestlohn faire Wettbewerbsverhältnisse für unsere Unternehmen. Denn die Firmen, die ihren Mitarbeitern anständige Löhne zahlen, müssen vor Dumpingwettbewerb und Schmutzkonkurrenz geschützt werden.
Was sieht die Bundesratsinitiative genau vor?
Wir wollen einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro. 8,50 Euro sind für uns die absolute Untergrenze. Alle Löhne, die darunter liegen, bedeuten nichts anderes als prekäre Arbeitsverhältnisse.
Katrin Altpeter: Wie hoch der Mindestlohn künftig konkret steigt, darüber soll sich einmal im Jahr eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichtete Mindestlohnkommission einigen. In dieser Kommission sollen neun Fachleute sitzen: drei Vertreter der Arbeitgeber, drei Vertreter der Arbeitnehmer und drei Wissenschaftler. Wenn sich die Kommission nicht einigen kann, dann soll das Bundesarbeitsministerium selbst den Mindestlohn festlegen. Das Ministerium kann den Kommissionsvorschlag aber auch ablehnen und per Verordnung selbst einen Lohn vorschlagen. Der Bundesrat muss dem Mindestlohn zustimmen.
Wichtig an dem Gesetz ist auch: Die Einhaltung des Mindestlohns wird durch den Zoll kontrolliert. Vertrauen in die Einhaltung des Mindestlohns ist gut und schön, staatliche Kontrolle ist besser.
Gefährdet ein gesetzlicher Mindestlohn nicht Arbeitsplätze?
Katrin Altpeter: Die Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns sagen geradezu gebetsmühlenhaft Entlassungen voraus, wenn ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt würde. Diese Befürchtungen werden aber sogar von Studien des CDU-geführten Bundesarbeitsministeriums widerlegt, das ja nicht gerade als glühender Befürworter eines Mindestlohns bekannt ist. Die Untersuchungen haben klar gezeigt, dass es in keiner der acht Branchen, in denen in Deutschland bereits Mindestlöhne bezahlt werden, zu einem Verlust an Arbeitsplätzen gekommen ist. Es gab auch keine negativen Auswirkungen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Die Ängste, die von den Gegnern des Mindestlohns geschürt werden, sind also in keiner Weise gerechtfertigt.
Ich halte den Gegnern von Mindestlöhnen auch immer gerne entgegen, welche positiven Auswirkungen die Einführung eines Mindestlohns hat. Ein Mindestlohn entlastet den Staatshaushalt, weil zu den Niedriglöhnen in der Regel keine ergänzenden Sozialleistungen nach SGB II bezahlt werden müssen. Und wenn mehr Menschen mehr Geld in der Tasche haben, weil sie anständig bezahlt werden, dann geben sie auch mehr Geld aus. Ein Mindestlohn stärkt auch die Binnennachfrage.
Und mit Blick auf die Tatsache, dass es in 20 von 27 Staaten der EU bereits Mindestlöhne gibt, muss man bei einer Einführung des Mindestlohns vielmehr davon sprechen, dass wir eine anderenorts vielfach erprobte und erfolgreiche Gesetzgebung endlich auch nach Deutschland holen.
Ist ein Mindestlohn für Frauen besonders wichtig?
Katrin Altpeter: Ja, das hängt damit zusammen, dass Frauen wesentlich häufiger als Männer im Niedriglohnsektor arbeiten und brüchige Erwerbsbiographien aufweisen. Sie leiden besonders unter Dumpinglöhnen, von denen sie nicht leben können. Einer Studie zufolge verdienen 18 Prozent der Alleinerziehenden – und das sind meistens Frauen – weniger als 7,50 Euro. Wie wollen sie davon sich selbst und ihrem Kind ein anständiges Leben ermöglichen? Diese Frauen sind im Alter ganz besonders von Altersarmut betroffen. Weil sie während ihres Erwerbslebens nicht genug Geld verdienen, können sie keine Reserven für später anlegen. Wollen wir das verhindern, brauchen wir den Mindestlohn.
Die Landesregierung hat schon mal eine Initiative für einen Mindestlohn eingebracht, die allerdings gescheitert ist. Wie sehen Sie die Chancen diesmal?
Katrin Altpeter: Wie haben schon im Dezember 2011 gemeinsam mit Rheinland-Pfalz und Hamburg einen Entschließungsantrag für die Einführung eines Mindestlohns in den Bundesrat eingebracht. Die Initiative scheiterte damals jedoch an den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat. Nachdem aber jetzt die CDU-geführte Landesregierung in Niedersachsen abgewählt worden ist, haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zugunsten von Rot-Grün verschoben. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir für unsere Initiative eine Mehrheit finden. Und dann muss auch die Bundesregierung endlich Farbe bekennen, ob sie bereit ist, wirklich etwas für die Menschen zu tun oder eben nicht.
Quelle, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren