Merkels Märchenrepublik
… so titelt der Züricher Tagesanzeiger eine lesenswerte Reportage zu Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl. Auf ihrer Reise durch die Bundesrepublik, so schreiben die Redakteure, sind sie fast überall auf ein Gefühl südländischer Unbeschwertheit gestoßen; fast überall, denn Stuttgart – so ihr Eindruck – sei einer der Orte, „an denen dieses Wohlgefühl anhaltend gestört ist“, sie registrieren „richtige Unruheherde“. Deren Ursache ist für sie leicht zu registrieren und Euch allen bekannt: „Stuttgart 21 heißt das Projekt, Milliarden soll es kosten, und wenn Neuschwanstein für das Zuckerguss-Deutschland steht, für eine Disney-artige Märchenrepublik, dann steht Stuttgart 21 inzwischen für alles, was falsch läuft zwischen Regierenden und Regierten in diesem Land“, soweit ihre Analyse.
Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass die Bundeskanzlerin bei ihrem einzigen Wahlkampfbesuch in Stuttgart nicht nur die üblichen journalistischen Hofschranzen, Kapitalvertreter, lokale Parteimatadore und ein handverlesenes „Volk“ zu sehen und zu hören bekam, sondern dass sich auch der Widerstand lautstark zu Wort meldete. Wolfgang Rüter dokumentiert den „Polizeistaatsbesuch“ und den schnellen Abgang von „Angie“.
Bemerkenswert, wer sich alles am Hof von Königin Merkel anwanzte, von Ex-Metallarbeitgeberchef Stihl über SWR-Intendant Peter Boudgoust bis hin zu Landtagspräsident Guido Wolf, die allesamt eher verwundert registrierten, dass die Polizei nicht bereit war, das Absperrgitter vor der Alten Reithalle für sie zu öffnen. Besonders dreist CDU-Kandidat Kaufmann, der . zu spät kommend – flux über das Gitter sprang, jedoch von der Polizei zurückbeordert wurde und unter Pfiffen und Lügenpack-Rufen sich den Weg zum vorgesehen Besuchereingang bahnen musste, der allerdings schon geschlossen war. Auch Biggi Bender, die sich bei einer vom DGB veranstalteten Podiumsdiskussion zur Sozialpolitik in Bad Cannstatt noch vertreten ließ, war es wichtig, hier Präsenz zu zeigen und schon mal Kontakt zur schwarzen S21-Mafia aufzunehmen, was von der Stuttgarter Zeitung süffisant mit Foto auf ihrer Doppelseite zum Besuch von Merkel registriert wurde.
Dass der Widerstand gegen S21 weiterhin sehr lebendig ist, zeigten zwei weitere erfolgreiche Aktionen. In Mannheim fand die 2. Demo im Rahmen der Tunnelbohrerkampagne statt. Zu dieser von der Lokomotive unterstützten Aktion gibt es einen sehenswerten Kurzbericht der Landeschau, in dem auch unser Badener Mitstreiter Michael Kaufmann zu Wort kommt.
Auch die 6. Laufdemo, die am gleichen Tag in Degerloch stattfand, ermöglichte allen Interessierten einen Blick über den Kesselrand. Die Teilnehmer bekamen vor Ort spannende Informationen von Aktiven aus Degerloch über das, was auf die Bewohner dieses Stadtteils durch den Baustellenverkehr und die Untertunnelung ihrer Häuser zukommt. Das Konzept, auch weniger zentrale Stadtteile einzubeziehen und mit den Aktiven vor Ort, Öffentlichkeit zu den Auswirkungen von S21 herzustellen, hat sich aus unserer Sicht bewährt und sollte weitergeführt werden.
Wie wichtig es ist, weiterhin Präsenz zu zeigen und das Planungschaos, Rechtsbrüche, Verschleierung von Fakten sowie offene Lügen von Bahn und S21-Mafia zu kritisieren, zeigt eine aktuelle Bürgerumfrage der Stadt zum Projekt S21. „Die Ablehnung des Projektes Stuttgart 21 durch Stuttgarter wächst“, schreiben eher verwundert die Stuttgarter Nachrichten. Auch wenn Bürgermeister Schairer hier einen „typischen Baustelleneffekt“ erkennen will, zeigt die Umfrage doch auch, dass wir nicht ganz erfolglos bei unserem Bemühungen sind, die Legitimation des Projekte S21 in Frage zu stellen; eine Voraussetzung dafür, mittelfristig – auch politisch – einen Projektausstieg zu ermöglichen. Es bleibt zu hoffen, dass sich immer weniger Stuttgarter von den Regierenden und Bahn mit Propaganda und Lügen zu diesem „Fortschrittsprojekt“ verarschen lassen.
Dazu Peter Grohmann in seinem letzten Bürgerbrief: „Die Apologeten des Fortschritts haben in den Jahrzehnten ihrer Herrschaft immer wieder das Blaue vom Himmel versprochen, aber sie schaffen es nicht einmal, in Mainz zu halten! Blühende Landschaften im Osten, sichere Renten, mehr Arbeit für alle, Bürgerentscheid, Mitbestimmung und viel mehr Demokratie … unter der Erde. Eine Demokratie, für die man 12 Milliarden auf den Tisch legt (und von 4,6 spricht). Eine Demokratie, für die man die grüne Lunge der Stadt opfert und 500 Bäume abholzt. Eine Demokratie, in der die Polizisten Kinder und alten Leuten mit giftigen Gas den Protest austreiben, eine Volksabstimmung, die schon Monate später das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie gedruckt wurden…“
Zwuckelmann macht sich Gedanken zur richtigen Wahlstrategie der S21-Gegner bei der kommenden Bundestagswahl. Wir halten seine Überlegungen für lesenswert, auch wenn wir uns nicht für das Projekt der Gläsernen Urne erwärmen wollen.
Auch die Grünen scheinen mittlerweile erkannt zu haben, dass sich das Thema S21 – zumindest in Stuttgart – nicht ganz aus dem Wahlkampf heraushalten lässt. Deshalb veranstalten sie am kommenden Freitag, den 30.08. – leider parallel zu unserem nächsten Treffen – im DGB-Haus eine Veranstaltung mit Cem Özdemir und dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Bundestag Anton Hofreiter. Titel der Veranstaltung: Welche Bahninfrastruktur brauchen wir? Werner Sauberborn schreibt dazu: „Ob das nur Wahlkampfgeklingel ist, ob z.B. Özdemir nur den Kretschmann macht oder das Thema ernsthaft auf Bundesebene und ggf in Koalitionsverhandlungen vertreten wird, das sollten wir versuchen anlässlich der Diskussionsangebote der Parteien herauszukriegen.“
Zum Thema Bahnmisere schrieb uns auch Prof. Bodack, nach dem Fiasko der Bahn in Mainz auch dort ein vielgefragter Interviewpartner. In einem Interview mit Landesschau Rheinland-Pfalz führte er aus, „dass die Bundesbahn auf der EU-Magistrale Paris-Bratislava von Mannheim nach Salzburg 31 Minuten schneller war als die DB AG heute, dass also die 10 bis 15 Milliarden für Stuttgart samt NBS sparen könnte, würde man den Bahnbetrieb wie 1991/92 durchführen.“ Wie immer lesenswert ist auch die Wochenzeitung Kontext und speziell der Artikel: „Weichen falsch gestellt“ von Hermann G. Abmayr, der von einem Klima der Angst im Konzern Bahn berichtet. „Interne Kritiker werden gnadenlos abgestraft.“
Dort findet sich auch ein weiterer Beleg für den Umgang der S21-Mafia mit der Wahrheit. Die Debatte um die Gründung des Bahnhofsturms wird um den interessanten Hinweis auf verschwundene Informationen auf der offiziellen Informationsseite zum Bahnprojekt Stuttgart-Ulm bereichert. Verantwortlich hierfür unser Freund Wolfgang Dietrich, der sich in einem Landesschau-Beitrag zur Enteignung eines Landwirtes bei Hohenstein – ohne rot zu werden – erfrecht, von Gemeinwohl zu sprechen, hinter dem das Interesse des Landwirtes auf angemessene Entschädigung durch die Bahn zurückzustehen habe.
Wie bereits bekannt, wird der neue Erörterungstermin zum Planänderungsverfahren für das GWM vom 09.-12.09. im ICS (Internationales Congresscenter Stuttgart, Landesmesse Stuttgart, Messepiazza 1, Raum C2.1, Eingang Ost) stattfinden. Die Tagesordnung findet ihr hier.
Wir Bad Cannstatter gegen S21 treffen uns wieder am Freitag, 30.08., um 19 Uhr in der Palette. Dort werden wir auch die bevorstehende Rosenstein-Informationsaktion, besprechen. Das neue Faltblatt soll vor Ort verteilt werden. Die Freiwilligen (bitte helft zahlreich mit!) treffen sich zur Vorbereitung am kommenden Montag, 02.09. um 19 Uhr (direkt nach der Montagsdemo) in der „Alten Münze“ an der U-Haltestelle am Schlossgarten. Einzelheiten entnehmt ihr bitte auch dem Protokoll im geschützten Bereich unserer Webseite – Danke dafür an Wolfgang.
Oben und in Bewegung bleiben!
Die Bad Cannstatter gegen S21