Doris Rothmund, Ein rabiater Liebhaber der Stille, Roman, C.M. Brendle Verlag Albstadt, 2014, 172 S. € 14,50
Ist das Zeppelin-Gymnasium, vormals Reformrealgymnasium, eine Brut- stätte von Literaten? Literaturkenner werden den Büchnerpreisträger Hermann Lenz sofort nennen können, einige wenige haben den Namen Eugen Gottlob Winkler gehört. Die Lehrerin Eva Leipprand dürften eher politisch Interessierte kennen, sie war einige Jahre Kulturbürgermeisterin in Augsburg. Und nun tritt die promovierte Germanistin und Lehrerin für Politik und Ethik Doris Rothmund mit einem Roman an die literarisch interessierte Öffentlichkeit. Sie hat ihr erstes Jahr der Pensionierung genutzt, um einen Roman zu schreiben: Ein rabiater Liebhaber der Stille. Wer ist dieser rabiate Liebhaber? Da bleibt Rothmund ihrem Gymnasium treu: es ist Eugen Gottlob Winkler. Er selbst hat sich in seinem Notizbuch so bezeichnet. Rothmund hat sich in seine veröffentlichten Texte vertieft, hat im Archiv Notizen und Briefe gelesen, in der Festschrift zum 100. Jubiläum des Zeppelin-Gymnasiums eine Würdigung über den Dichter verfasst und mit ihrer Kollegin Brigitte Baumeister und Schülerinnen und Schülern zwei Filme über Winkler gedreht, die auf youtube veröffentlich sind.
Rothmund nähert sich W., wie sie ihn im Roman nennt, nicht literaturwissenschaftlich, sondern aus der Autorenperspektive und versucht seine Person, seine Vita und seinen Freitod zu beschreiben und zu erklären. Aus der Ich-Perspektive lässt sie eine Bibliothekarin in einer oberschwäbischen Kleinstadt – Rothmund ist in diesem Milieu groß geworden – ihre eigene Lebensgeschichte befragen, die eng mit W. verknüpft ist, da sie als Mädchen W. in Tübingen bei den Nazi-Behörden denunzierte und er daraufhin für zehn Tage in „Schutzhaft“ kam und schließlich mangels Beweisen freigesprochen wurde. Zugleich versetzt sich Rothmund in zwölf Versuchen in die Person von Eugen Gottlob Winkler. Hier benützt sie die dritte Person und die erlebte Rede und stützt sich auf Texte von W. Auf diese Weise wird Winkler mehr und mehr zu einem „runden“ Charakter. Der blitzgescheite und geniale Schüler, der in jungen Jahren bei Karl Vossler promoviert, sucht seiner ärmlichen und kleinbürgerlichen Welt zu entkommen, lebt das Leben eines Dandys und möchte ein Stern am Himmel der Literatur werden. Er liebt Italien, muss aber in der beklemmenden Enge des aufkommenden Nationalsozialismus in Tübingen leben und schließlich einsam, verlassen von Mutter und Freunden, sich in München sein Leben nehmen, nachdem er vor dem Haus seines Idols Thomas Mann nach seinen Personalien gefragt wurde.
Rothmund dringt in sein Inneres, schildert seine intimen Wünsche, seinen permanenter Geldmangel, seine literarischen Sehnsüchte, die hart an die neue, deutsche Wirklichkeit stoßen. Er träumt von einer Laura, wo ihm deutsche Mädels namens Traudel und Ursel begegnen. „Keine würde in seine dunklen zarten unvollendeten Gedichte eindringen, in denen Frauen höchstens unbeschreiblich und oder kostbar sein könnten.“ Sensibel spürt Rothmund dem Dichter und der Frau nach und schafft ein spannendes Buch, das Einblick gibt in das Leben eines jungen Dichters, in das einer Frau, deren Biographie schicksalhaft mit ihm verwoben ist, und schließlich in den Beginn einer schrecklichen Diktatur. Dabei gelingt es Rothmund bis zur letzten Seite die Spannung aufrecht zu erhalten. Eine Lektüre, die Freude macht und die sich lohnt. Zudem rühmt der Roman auch in gewisser Weise das Zeppelin-Gymnasium als eine Schule von Literaten. „Ihn zieht es […] vorbei an seinem Gymnasium, das keine schreckende Erinnerung bei ihm hinterlassen hat. Ein optimistischer Bau, vollendet 1912, mitten im Frieden, aber im Untergangsjahr der Titanic und im Geburtsjahr von W.“ Im Jahr 1936 ist er gestorben. „Er ist im Süden, es ist Sommer, nichts hat mehr Gewicht und die Farben haben sich aufgelöst. Es gibt nur noch Helle und an das Meeresrauschen hat er sich gewöhnt: so als ob Stille wäre.“ R.W. Juni 14
Eugen Gottlob Winkler (1912-1936) lebte in Stuttgart-Wangen, wo er auch begraben ist und besuchte das Zeppelin-Gymnasium. Die ehemalige Lehrerin am Zeppelin-Gymnasium, Dr. Doris Rothmund, hat einen Roman über den begabten Schüler und späteren Schriftsteller, der am Nazi-Regime zugrunde ging, geschrieben. Eine interessante Lektüre für alle Freunde der Literatur in Stuttgart-Ost und in den Neckarvororten.
youtube/ Das kurze Leben des Eugen Gottlob Winkler (Zeppelin-Gymnasium Stuttgart)
Den Hinweis hat uns Familie Weh zugeschick, vielen Dank
Foto, Blogarchiv Weh